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Genesis, 12:1-17:27

Lech Lecha (Gehe aus)

Glossar der im Wochenabschnitt Lech Lecha verwendeten Begriffe

Zusammenfassung des Wochenabschnitts

Der Abschnitt Lech Lecha (Gehe aus) beginnt mit dem Befehl an Abram, sein Land zu verlassen und in das Land Kanaan zu ziehen. Nachdem er dort angekommen ist, zwingt ihn eine Hungersnot, nach Ägypten hinabzusteigen. Dort wird seine Frau Sarai von den Dienern des Pharao entführt. Aus Angst um sein Leben gibt Abram sie im Haus des Pharao als seine Schwester aus. Doch der Schöpfer straft den Pharao mit Plagen, sodass dieser Sarai unversehrt an Abram zurückgeben muss.

Zurück in Kanaan entsteht ein Streit zwischen den Hirten von Lots Vieh und den Hirten von Abrams Vieh, woraufhin sie sich trennen. Kurz darauf kommt es zu einem Krieg zwischen vier babylonischen Königen und fünf kanaanitischen Königen. Lot wird gefangen genommen, und Abram zieht aus, um ihn zu befreien.

Der Schöpfer schließt daraufhin mit Abram den „Bund der Teile“ (oder „Bund zwischen den Teilen“) und verheißt ihm zahlreiche Nachkommen sowie das Erbe des Landes. Da Sarai jedoch kinderlos bleibt, gibt sie Abram ihre Magd Hagar, die einen Sohn zur Welt bringt: Ismael.

Später schließt Abram mit dem Schöpfer den Bund der Beschneidung. Er erhält den Auftrag, sich selbst und alle männlichen Mitglieder seines Hauses zu beschneiden. In diesem Zusammenhang werden die Namen geändert: Aus Abram wird Abraham und aus Sarai wird Sara.

Am Ende des Abschnitts verheißt der Schöpfer, dass Sara einen Sohn gebären wird – Isaak.


Kommentar von Dr. Michael Laitman

Alle Geschichten des Wochenabschnitts beschreiben innere Prozesse im Menschen. In der richtigen Wahrnehmung der Wirklichkeit existieren keine äußeren Ereignisse, keine Geschichte und keine Geografie. Alles, was in der Tora erscheint, sind Zustände, die in unserem Inneren ablaufen.

Die Weisheit der Kabbala erklärt, dass die Wahrnehmung der Wirklichkeit ein komplexer Vorgang ist, der mit unserer inneren Psychologie, unseren Sinnen und unserer physischen Struktur verbunden ist.

Die Tora beschreibt den Weg der menschlichen Entwicklung. Alle Personen und Ereignisse stehen für innere Kräfte und Eigenschaften. Abraham symbolisiert die Absicht, sich der Spiritualität zuzuwenden. Er ist das Verlangen, den Schöpfer zu erkennen und zu offenbaren.

Die Geschichte Abrahams in Babylon beschreibt die Offenbarung, dass nur eine einzige Kraft existiert, die die Welt lenkt, und gleichzeitig das Verlangen, diese Kraft zu verstehen. Jeder Mensch, der nach der Ursache seines Lebens und dem Sinn seiner Existenz fragt, steht an demselben Punkt wie Abraham. Diese Kraft wirkt im Inneren eines jeden.

Abraham erkannte, dass ein Übergang zu einem neuen Zustand erforderlich ist. Die Natur drängte ihn dazu, wie es heißt: „Gehe aus, aus deinem Lande und aus deinem Geburtsorte und aus dem Hause deines Vaters in das Land, das ich dir zeigen werde.“ Dort wirst du das Gleichgewicht finden und dich selbst verwirklichen können.

Maimonides und andere Kabbalisten schrieben, dass Abraham mit seinem gesamten Haus in das Land Kanaan zog. Tausende verließen mit ihm Babylon und gründeten das „Haus Abrahams“. Das Land Kanaan bezeichnet ein neues Verlangen.

Das Wort Erez (Land) leitet sich von Razon (Verlangen) ab. Abraham erkannte, dass dieses neue Verlangen ihn noch nicht ausreichend erhob. Er spürte einen inneren Mangel und wusste nicht, was ihn auf dieser Stufe im „Land Kanaan“ nähren und erhalten konnte. Da das „Land Kanaan“ für die Eigenschaft des Gebens steht und er diese noch nicht erreichen konnte, entstand ein Zustand, der ihn erneut mit dem Verlangen zu empfangen verband. Dies wird als sein Abstieg nach Ägypten beschrieben.

Dort offenbarte sich ein größeres Verlangen, das die Notwendigkeit weiterer Entwicklung deutlich machte. Das Ego wuchs und entwickelte sich aus dem Zustand „Babylon ist nicht genug“. Es verlangte nach stärkerer Erfüllung, während zugleich die Sorge entstand, die Absicht des Gebens, „Abraham“, könne nicht ausreichen, um sich selbst zu erhalten. Daraus entwickelte sich die Furcht, die Absicht zu zerstören, sobald sie mit dem Ego in Verbindung tritt.

Daher vermeiden wir zunächst die Arbeit mit dem Ego, das als Hindernis in uns wächst. Innerlich entsteht die Haltung: „Das ist meine Schwester, nicht meine Frau.“ Das bedeutet, dass wir bereit sind, auf das zentrale Verlangen, „Sara“, zu verzichten und vorerst nur in der Absicht des Gebens zu verbleiben, die „Abraham“ symbolisiert.

Durch das wachsende Ego verliert der Mensch jedoch das Gefühl von Erfüllung. Anstelle von Zufriedenheit entsteht ein zunehmendes Empfinden von Mangel und innerer Leere. „Pharao“ bezeichnet den Zustand, in dem die innere Frage dominiert: „Was erhalte ich davon?“ Dieser Zustand erscheint oft schwieriger als der vorherige. Daher „sagt Pharao zu Abraham“, er solle das Verlangen, „Sara“, zurücknehmen. Das egoistische System strebt nach Körperlichkeit, während „Sara“ ein Verlangen ist, das aus der Spiritualität stammt.

Diese beiden Kräfte im Menschen stehen in einem fortlaufenden inneren Wechsel. Mal dominiert die Ausrichtung auf das Geben („Abraham“), mal die Forderung des Egos („Pharao“). Dieser Wechsel gleicht der Bewegung beim Gehen: Der Mensch kommt nur voran, weil sich rechte und linke Seite abwechseln. Die Benennungen der Kräfte ändern sich je nach Entwicklungsstufe, doch das Grundprinzip bleibt dasselbe.

Als Abraham mit seinem Gefolge ins Land Kanaan zurückkehrte, entstand ein Streit zwischen den Hirten von Lots Vieh und den Hirten von Abrahams Vieh. Das Wort „Lot“ bedeutet „Fluch“. Im Inneren steht dieser Zustand für die grundlegende Frage: „In welche Richtung soll ich gehen – zum Empfangen oder zum Geben?“ Angesichts dieser Wahl entsteht Ratlosigkeit. Der Streit um Weideland und Brunnen beschreibt den inneren Prozess der Unterscheidung zwischen diesen beiden Kräften: Empfangen und Geben.

Diese Geschichte zeigt, dass der Mensch in seiner spirituellen Entwicklung immer wieder mit Situationen konfrontiert wird, in denen er in sein Ego blickt und erkennt, wie es in ihm wächst.

Wichtig ist jedoch: Obwohl wir die Richtung des Bösen ablehnen, dürfen wir das Ego nicht zerstören. Stattdessen müssen wir uns davon trennen, so wie Abraham sich von Lot entfernte ohne ihn zu vernichten und ihn später sogar aus Sodom rettete.

Diese Vorgänge beschreiben die Wandlungen, die im Inneren des Menschen stattfinden. Wir nutzen sowohl unsere „schlechten“ als auch unsere „guten“ Kelim (Gefäße), das heißt alle Eigenschaften und Gedanken. Beide Seiten dienen letztlich dem Lernprozess und der Entwicklung.

Nachdem der Streit mit den Hirten von Lots Vieh beendet war, zog Abraham in den Krieg gegen die vier Könige des Landes. Dies zeigt erneut, dass sich der Mensch auf seinem Weg der Entwicklung ständig im inneren Kampf befindet. Die „Könige“ stehen für starke egoistische Kräfte und Verlangen, die den Eintritt in das „Land Kanaan“ verhindern und es umschließen. Immer dann, wenn der Mensch eine höhere Stufe erreichen möchte, auf der er beginnt, den Schöpfer und die ewige Kraft der Natur zu empfinden, stellen sich diese Kräfte, die Malchujot (Könige), in den Weg und blockieren den Aufstieg.

Nach diesem Kampf erscheint der Schöpfer Abraham und schließt mit ihm einen Bund. Er verspricht ihm, dass dieses Land letztlich der Qualität Abrahams gehören wird, die sich über die Kraft des Pharaos, über die Kriege und über Lot hinaus erhebt und weiterentwickelt.

Damit ist diese innere Qualität stark genug geworden, um den Eintritt in das „Land Kanaan“ zu ermöglichen. Sie eröffnet den Weg zum Zweck der Schöpfung: zur Offenbarung des Schöpfers und zur Dwekut (Anhaftung) an den Schöpfer.

Um jedoch die nächste Stufe tatsächlich zu erreichen, die Verbindung mit dem Schöpfer, benötigt der Mensch eine Kraft, die diesen neuen Zustand „gebären“ kann. Der Mensch bringt seine nächsten Entwicklungsstufen selbst hervor. Doch das Verlangen zu empfangen, „Sara“, ist in diesem Stadium noch nicht bereit, unter der Qualität Abrahams zu gebären. Die Absicht des Gebens ist noch zu schwach, um das Verlangen zu empfangen zu korrigieren. Deshalb kann der Prozess zunächst nur über die rechte Linie erfolgen, dargestellt durch „Hagar“. Aus diesem Zustand entsteht „Ismael“, eine Kraft, die zur rechten Seite von Bina gehört und als „Klipa“ (Schale/Hüllw) der Rechten bezeichnet wird.

Erst nach dem Bund und weiteren Korrekturen erreicht Abraham eine Stufe, auf der er auch mit Sara, also mit dem gesamten Verlangen zu empfangen, arbeiten kann. Dann „gebiert Sara“. Dieser Zustand führt zu der großen Freude, die im Wochenabschnitt beschrieben wird.

Fragen und Antworten

Abraham wurde angewiesen, Babylon zu verlassen und in das Land Kanaan zu gehen. Innerlich bedeutet dies, sich von einem Verlangen zu einem anderen zu bewegen. Die Frage lautet: Was bedeutet ein solcher Übergang, und wie fühlt es sich an, im „Land Kanaan“ zu sein?

Der Mensch befindet sich in einem fortlaufenden Prozess innerer Veränderungen, meist jedoch unbewusst. Die Tora beschreibt diese Veränderungen als bewusstes Durchlaufen von Zuständen, nachdem der Mensch entschieden hat, seine Wünsche tatsächlich ändern zu wollen. Das Verlangen zu empfangen war unser ganzes Wesen; nun vollzieht sich ein Wechsel von einem Verlangen zum nächsten, von einem „Ort“ zum anderen. In diesem Zusammenhang sagt man: „Ändere den Ort, und dein Glück ändert sich mit ihm.“ In der inneren Arbeit bezeichnet „Ort“ das Verlangen, aus dem heraus wir die Wirklichkeit wahrnehmen. Das Verlangen ist der Ursprung und Antrieb aller Handlungen.

Jeder Name und jeder Begriff in der Tora steht für ein bestimmtes Verlangen. In der Weisheit der Kabbala sprechen wir über Awiut (Grobheit), Massach (Schirm) und Reshimot (Aufzeichnungen), die den Zustand von Neshama (Seele) bestimmen. Es handelt sich um dieselben inneren Veränderungen; nur die Begriffe unterscheiden sich.

„Gehe aus“ bedeutet, dass wir erkennen müssen, dass der Beginn des Weges Jessod (Fundament) ist und dass Entwicklung immer durch den Übergang von einem Zustand in den nächsten geschieht. Wir sollen diese Anleitung befolgen und Stufe um Stufe weitergehen, bis wir das Ende der Korrektur erreichen. Daher ist „Gehe aus“ die Handlung, die der Schöpfer von uns erwartet.

Dieser Prozess zeigt, dass Fortschritt nur möglich ist, wenn wir verstehen, dass wahre Veränderung durch Verbindung geschieht. Der gesamte Unterschied zwischen den spirituellen Stufen liegt im Maß der Einheit, die wir erreichen. Je mehr Verbindung wir herstellen, desto größer ist unsere Fähigkeit, alle inneren Kräfte zu integrieren und unserem Ziel näher zu kommen.

Nichts wurde ohne Zweck erschaffen. Wir benötigen alle unsere inneren Kräfte – Pharao, Lot, Abrahams Vieh, Lots Vieh, die Könige des Landes, Bileam, Balak, Haman – sowohl die als „böse“ als auch die als „gerecht“ gelten. Die Tora lehrt uns, wie wir all diese Kräfte verbinden, ordnen und zu einer einzigen, vollständigen Form zusammenfügen. So wird der Mensch zu einem Ganzen.

Was bedeutet das Land Kanaan in Bezug auf unsere Verlangen?

Das Land Kanaan stellt einen inneren Zustand dar, der als Vorstufe zum Land Israel verstanden wird. Dieser Zustand muss zuerst durchlaufen werden, bevor die Stufe „Israel“ erreicht werden kann.

Sind wir bereits auf dem Weg zur Spiritualität, wenn der Punkt in unserem Herzen erwacht?

Ja, unbedingt. Wenn dieser Punkt erwacht, können wir nicht mehr in „Babylon“ bleiben. Dann müssen wir es verlassen und zur Stufe des Landes Kanaan aufsteigen. Auf diesem Weg kommen immer wieder neue Verlangen hinzu, mit denen wir arbeiten können. Und je mehr wir sie in Richtung Geben und Chessed (Barmherzigkeit) lenken, in jene Richtung, die Abraham symbolisiert, desto höher steigen wir auf.

Aus dem Sohar: Gehe aus um dich selbst zu korrigieren

Da der Schöpfer sein Erwecken und sein Verlangen sah, offenbarte Er sich ihm sofort und sagte zu ihm: „Gehe aus“, um dich selbst zu erkennen und dich selbst zu korrigieren, was bedeutet, dass er aufhören sollte, die oberen Kräfte abzuwägen, sondern MaN erheben und einen hohen Siwug auf dem Massach ziehen sollte, der ihm erschien; wodurch er belohnt wird, indem er für sich Daat zieht und sich selbst korrigiert.

Sohar für Alle, Lech Lecha (Gehe aus), Abschnitt 28

Eine höhere Stufe erreichen wir durch die Awiut (Grobheit) eines neuen Verlangens und durch die Absicht, die sich über diesem Verlangen befindet. Wenn ein Siwug de Hakaa („Paarung durch Schlag“) stattfindet, offenbart sich das höhere Licht in dem Maß der Stufe, auf der dieser Siwug vollzogen wurde.

Was bedeutet es, dass der Schöpfer „sein Erwachen sah“?

Dieses Erwachen geschieht nicht zufällig, sondern ist Teil des allgemeinen Plans der Schöpfung. Jeder Mensch erreicht einen bestimmten Moment, in dem in ihm ein innerer Anstoß entsteht – ein Verlangen, das auf etwas Höheres ausgerichtet ist. Es ist, als würde ein verborgener Mechanismus in der Schöpfung zu einer bestimmten Zeit den Menschen „aktivieren“ und sein inneres Streben wecken. Wenn ein solcher Ruf erscheint, liegt es am Menschen, darauf zu reagieren und die ersten Schritte auf dem Weg der spirituellen Entwicklung zu unternehmen.

Was passiert, wenn wir merken: Es geht einfach nicht mehr weiter?

Wenn wir spüren, dass wir in der Spiritualität keinen Fortschritt mehr machen, bedeutet dies, dass wir erneut in das egoistische Verlangen, den „Pharao“, zurückfallen. In kabbalistischer Sprache ist das ein Abstieg nach Ägypten. Dieser Zustand ist jedoch kein Fehler, sondern ein notwendiger Teil des Weges. Das Ego muss wachsen, denn es ist das Material, mit dem wir arbeiten. Es ist das große Verlangen zu empfangen, der „Stoff der Schöpfung“. Ohne Pharao gelangen wir nicht bis zum Berg Sinai.

Wir benötigen diesen „Berg“ aus Bösem, das heißt, die Anhäufung des egoistischen Verlangens mit all seinen Gegensätzen, bis hin zu Ablehnung und Hass. Erst an diesem Punkt erkennt der Mensch die Notwendigkeit einer korrigierenden Kraft. Dann entsteht das innere Gefühl: „Ich brauche die Tora – das Licht, das mich zurück zur Quelle führt.“

Der Fortschritt geschieht immer in zwei Bewegungen: Auf der einen Seite wächst das egoistische Verlangen, auf der anderen Seite wächst die Absicht zu geben. 

Was ist die Klipa der Rechten, und warum brachte Abraham, die Eigenschaft von Chessed, eine Klipa hervor?

Die Eigenschaft Abrahams befindet sich noch am Anfang und ist daher nicht vollständig korrigiert. Sie stellt das erste, reine Verlangen des Menschen dar, dem es jedoch noch an Awiut (Grobheit) fehlt. Sobald der Mensch Awiut aufnimmt, um sich weiterzuentwickeln, müssen rechte und linke Linie durch eine genaue Prüfung der eigenen Wünsche miteinander verbunden werden. In dieser Prüfung erkennt der Mensch, mit welchen Verlangen er bereits arbeiten kann und welche noch nicht geeignet sind. Letztere werden erst auf höheren Stufen korrigiert.

Hinzu kommt: Dadurch, dass Abraham einen Sohn mit einem nur teilweise korrigiertem Verlangen, „Hagar“, zeugt, verändern sich die inneren Bedingungen. Sarai wird zu Sara, und Abram wird zu Abraham. Diese Wandlungen betreffen nicht nur die Namen, sondern stehen für innere Korrekturen. Auf dieser neuen Stufe arbeitet der Mensch nun mit einem gereiften Verlangen, „Sarah“ und einer erneuerten Absicht, „Abraham“. Aus dieser Verbindung entsteht der Beginn des „Volkes“, das heißt: der nächste Abschnitt in der spirituellen Entwicklung.

Ist Isaak der Beginn des Volkes?

Nicht nur Isaak. Die spirituelle Struktur besteht aus drei Linien: der rechten Linie, der linken Linie und der mittleren Linie, die „Israel“ genannt wird. Ergänzend dazu gibt es zwei Klipot (Hüllen/Schalen): Ismael auf der rechten Seite und Esau auf der linken Seite. Diese Kräfte sind nicht grundsätzlich fehlerhaft, sondern repräsentieren lediglich Stufen, die zu ihrer Zeit korrigiert und in das Gesamtsystem integriert werden.

Die Klipa der rechten Linie, Ismael, kämpft bis heute gegen alle. Dieser Zustand bleibt bestehen, bis zum Ende der Korrektur. Erst wenn sich alle Kräfte durchmischen, einander ergänzen und verbinden, wird sich dieser Kampf auflösen.

Bedeutet Beschneidung, „in das Verlangen zu schneiden“?

Ja, doch Beschneidung bedeutet mehr als ein bloßes Abtrennen. Sie bezeichnet die Klipot, also jene Verlangen, mit denen wir vorerst nicht arbeiten können. Solange sie unkorrigiert sind, bleiben sie Klipot und werden erst später zu Kedusha (Heiligkeit). Das Verlangen selbst ist nicht das Problem, sondern unsere Unfähigkeit, mit so starken Wünschen in der Absicht des Gebens zu arbeiten. Würden wir in diesem Zustand Genuss empfangen, nähmen wir ihn noch für uns selbst und nicht, um zu geben.

Was bedeutet es, einen Bund mit dem Schöpfer zu schließen?

Einen Bund mit dem Schöpfer zu schließen bedeutet, eine verbindliche innere Verpflichtung einzugehen. Ein solcher Bund ist eine besondere, innere Neuordnung der Kräfte im Menschen. Sie ermöglicht es ihm, alle zukünftigen Stufen ohne Irrtum zu durchlaufen unter der Voraussetzung, dass er ein bestimmtes grundlegendes Prinzip treu beibehält.

Wird mir der Schöpfer durch den Bund helfen?

Der Bund bedeutet, dass der Schöpfer dir bereits hilft. Der Schöpfer, die Natur, handelt unveränderlich, wie es heißt: „Ich, der Ewige, habe mich nicht verändert.“ Ein Bund bedeutet, dass du ein bestimmtes Prinzip erkannt hast und ihm fortan treu bleibst. Hältst du daran fest, bist du davor geschützt, Fehler zu begehen, vom Weg abzuweichen oder zu „sündigen“.

Da der spirituelle Weg immer zu einer neuen, noch unbekannten Stufe führt, brauchst du Sicherheit für den weiteren Fortschritt. Der Bund ist die Kraft, die dich zuverlässig von einer Stufe zur nächsten führt.

Es gibt zwei Bünde: den Bund der Teile und den Bund der Beschneidung. Die Beschneidung wurde in der materiellen Welt zu einer jüdischen Praxis und gilt bis heute als Gebot. Manche kritisieren sie als grausam, doch was ist ihre spirituelle Wurzel?

Spirituell bedeutet Beschneidung, den Teil des Willens zu empfangen abzutrennen, den man noch nicht korrigieren kann. Dieses Prinzip begegnet uns vielfach in der Tora – etwa bei Sara und Hagar. Einerseits prüfen wir das wachsende Verlangen zu empfangen; andererseits erkennen wir, dass ein bestimmter Teil vorerst „abgeschnitten“ werden muss, weil wir noch nicht in der Lage sind, ihn mit der Absicht des Gebens zu nutzen. Genau darauf verweisen die Ge- und Verbote: „tu“ und „tue nicht“. Das „nicht tun“ bedeutet, dass es Verlangen gibt, die wir momentan nicht verwenden dürfen.

Daher muss der Mensch in jeder Situation unterscheiden, welche Verlangen er nutzen kann und welche er ruhen lässt. Der Ort dieser Prüfung heißt „Rosh (Kopf) des Parzuf“. Dort findet die grundlegende innere Entscheidung statt und diese innere Prüfung muss jeder Handlung vorausgehen.

Ist die Vorhaut das Verlangen, das wir nicht nutzen können?

Ja. Die Vorhaut, das Freilegen und der Tropfen Blut stehen für Korrekturen, die sich auf die Stärke und die Beschaffenheit eines Verlangens beziehen. Es handelt sich um Wünsche, mit denen wir weder geben noch empfangen können, weil wir uns noch nicht in einem spirituellen Zustand befinden. Die bewusste Entscheidung, solche Verlangen vorerst nicht zu nutzen, wird „Beschneidung“ genannt.

Es wird erwähnt, dass Lot gefangen genommen wurde. Wer nahm ihn gefangen – und was bedeutet Gefangenschaft?

Lot wurde durch das egoistische Verlangen von Sodom gefangen genommen. „Gefangenschaft“ bezeichnet einen Zustand, in dem das Verlangen des Menschen von egoistischen Kräften dominiert wird. Sodom stellt, im Vergleich zu unserem heutigen Zustand, eine Stufe dar, die sich selbst als „große Rechtschaffenheit“ versteht, bis hin zu dem, was die Weisen die „Sodomitische Regel“ nennen.

Sind wir heute schlimmer als die „Sodomitische Regel“?

Ja. Die sogenannte „sodomitische Regel“ lautet: „Mein ist mein, und dein ist dein.“ Das bedeutet: Ich greife nicht in dein Leben ein, und du greifst nicht in meines ein. Selbst wenn ich dich ausnutzen oder bestehlen könnte, tue ich es nicht. Ich manipuliere dich nicht, verkaufe dir nichts Schlechtes und täusche dich nicht durch Werbung. Kurz gesagt: Ich nutze dich nicht aus.

„Die sodomitische Regel“ klingt doch gar nicht so schlecht!

Natürlich. Wenn wir uns heute auf der Stufe der „sodomitischen Regel“ befänden, wäre das bereits ein Fortschritt. Nicht ohne Grund war Lot Teil dieses Zustands. Er stand Abraham nahe, denn diese beiden Eigenschaften liegen innerlich nicht weit auseinander. Abraham kam, um Lot zu retten, weil die Stufe von Sodom für den Prozess der Korrektur notwendig ist. Als Abraham nach Sodom kam, prüfte er, welche Verlangen sich noch korrigieren ließen. Die übrigen, die sich zu diesem Zeitpunkt nicht klären ließen, mussten den Umsturz von Sodom durchlaufen.